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Was bedeutet Mehrfachdiskriminierung?

Menschen bestehen aus einem ganzen Bündel von verschiedenen Eigenschaften; einige sind angeboren, andere erworben. Wenn einer Eigenschaft von der Dominanzgesellschaft eine negative Wertung beigemessen wird, werden Menschen aufgrund dieser Eigenschaft diskriminiert. Häufig steht sowohl für die Person selber als auch für die Gesellschaft eine bestimmte Eigenschaft im Vordergrund und weitere ebenfalls negativ bewertete Eigenschaften und ihre Diskriminierungen rücken aus dem Blickfeld, obwohl sie dennoch sehr wirkmächtig sein können. Im Ergebnis erfahren die allermeisten Betroffenen Mehrfachdiskriminierung, obwohl weder sie selbst noch die Gesellschaft dies wahrnehmen.

Das Wahrnehmen der Gesamtheit von Eigenschaften und Diskriminierungen, also ein intersektionaler Blick, ist entscheidend sowohl für eine korrekte Analyse als auch für Ansätze, gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen und Diskriminierte zu empowern. Um eine Vorstellung von der Bandbreite möglicher Mehrfachdiskriminierungen zu geben, hier eine (unvollständige) alphbetische Liste üblicher Diskriminierungsformen in westlichen Gesellschaften:

  • Ableism (engl. Begriff für Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen)
  • Adultismus (Diskriminierung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen)

  • Ageism (engl. Begriff für Diskriminierung von älteren Menschen)

  • Biphobie (Diskriminierung von Bisexuellen/Menschen die gleich- und gegengeschlechtlich lieben)

  • Bodyism (engl. Begriff für Diskriminierung von Menschen, deren Körperbild nicht den in der westlichen Welt dominanten Körperidealen von schlanken Körpern ohne Behinderung entspricht. Überschneidung mit Ableism und Bodyism)
  • Diskriminierung aufgrund eines geringen Bildungsabschlusses
  • Diskriminierung aufgrund der Religion oder Weltanschauung
  • Diskriminierung von Menschen mit psychischen Krankheiten (z.B. Depressionen) oder Veranlagungen, die allgemein als Krankheiten definiert und pathologisiert werden wie AD(H)S, Autismus, ...)
  • Homophobie (Ablehnung von gleichgeschlechtlich Liebenden)

  • Klassimus (Diskriminierung aufgrund der sozialen Klassenzugehörigkeit)

  • Lookism (Diskriminierung aufgrund des Aussehens, der Kleidung etc.)

  • Rassismus (Diskriminierung aufgrund Nichtweißsein)

  • Sexismus (Diskriminierung aufgrund von Nichtmannsein oder Nichterfüllen traditioneller Rollenbilder)

  • Shadeism/Colorism (Hierarchisierung und sich daraus ergebende Diskriminierung von „Hautfarben“)

  • Transphobie (Diskriminierung von Menschen, die jenseits der dominanten Geschlechtsnormen (Frau/Mann) und/oder ihres biologischen Geburtsgeschlechtes leben)

  • Xenophobie (Angst vor dem Fremden/Unbekannten)

 

Was bedeutet es für einen Menschen z. B. weiblich, unter 25 Jahre alt, Schwarz, gehörlos, stark übergewichtig, alleinerziehend und ohne Schulabschluss zu sein? Wahrscheinlich würden Hilfeleistungen des Sozialstaates bei der Gehörlosigkeit ansetzen, vielleicht auch noch Maßnahmen zum Erreichen eines Schulabschlusses angeboten werden. Diskriminierungen wird eine solche Person allerdings weiter erfahren: individuelle z. B. durch sexuelle Belästigung, Hänseleien über das Übergewicht, jeden Tag beim Einkaufen wegen der Armut, usw. usf., dazu strukturelle Diskriminierungen wie z. B. fehlende Gehörlosenleitsysteme, allgemeine Unkenntnis der DGS (Deutschen Gehörlosensprache), mangelndes Angebot finanzierbarer und passender Kleidung, Unterbewertung schulischer Leistungen aufgrund der Hautfarbe, mangelnde Angebote zur Kinderbetreuung ... Und schließlich sind da die institutionellen Diskriminierungen wie die mangelnde Durchsetzung des Antidiskriminierungsgesetzes, rassistische Polizeikontrollen (racial profiling) usw.

Ich gebe noch einige andere Beispiele für Mehrfachdiskriminierungen: musilimisch, nicht Deutsch als Muttersprache, über 60 Jahre alt, frühverrentet, verwitwert - oder: weiblich, Punk, PoC, arbeitslos, stark stotternd - oder: jüdisch, Schwarz, kein Aufenthaltstitel, schwul - oder: intersex, asiatischer Herkunft, Asperger, schwerst traumatisiert, suchtkrank - oder ...

Sowohl staatliche Angebote als auch Selbsthilfegruppen und Interessenverbände richten sich zuallermeist nur an einen Aspekt der Lebenswirklichkeit von betroffenen Menschen. Unsere Gesellschaft scheitert daran, Menschen in ihrer Gesamtheit wahrzunehmen und ihnen gerecht zu werden. Ich halte es für außerordentlich wichtig,  den eigenen Blick zu öffnen für die ganze Bandbreite menschlichen Lebens und Erlebens. Und damit unsere Gesellschaft sich zur Wahrnehmung dieser Gesamtheit bereit findet, müssen Betroffene sichtbar und hörbar werden. Deshalb sind mir Empowerment Angebote für Mehrfachdiskriminierte sehr wichtig.

In meiner Arbeit mit mehrfachdiskriminierten Menschen, die zumeist in Form von Workshops stattfindet, geht es mir darum, zunächst  Diskriminierung allgemein zu analysieren, dann die spezifischen Formen von Diskriminierung, denen die Teilnehmenden ausgesetzt sind, zu untersuchen, um schließlich und vor allem Wege aus den persönlichen emotionalen Fallen, der Internalisierung von Vorurteilen, zu erarbeiten und die Ressourcen zur Widerständigkeit und zum guten Leben zu entdecken, die dazu befähigen können, das eigene Recht auf ein diskriminierungsfreies Leben einzufordern und durchzusetzen.

Für Angehörige der Dominanzgesellschaft biete ich Vorträge und Seminare zum Wesen von Diskriminierung allgemein an, zu speziellen Diskriminierungsformen und zum verantwortungsvollen Umgang mit Privilegien.