Ihre Browserversion ist veraltet. Wir empfehlen, Ihren Browser auf die neueste Version zu aktualisieren.

Menschenrechte für LGBTIQ weltweit

Viel hat sich getan für die volle Anerkennung der Menschenrechte von schwulen und lesbischen Menschen in der westlichen Welt. Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsgesetze, Möglichkeiten zur eingetragenen Lebenspartnerschaft oder Eheschließung, höhere öffentliche Akzeptanz sind Errungenschaften weltweiter Emanzipationsbewegungen.

Weitaus weniger erfreulich ist die Lage von transidenten (sich entgegen ihrem biologischen Geburtsgeschlecht identifizierenden), intersex (mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen geborenen) oder genderfluiden (sich jenseits oder zwischen den Geschlechtern identifizierenden) Menschen. Hier sind auch im Westen weder öffentliche Akzeptanz noch gesetzliche Bestimmungen menschenrechtlich befriedigend.

Und rechte und reaktionäre Kreise, wie die "besorgten Eltern" oder die AfD in Deutschland, die Tea Party in den USA oder die Putin Diktatur in Russland, laufen mit erschreckendem Erfolg Sturm gegen die gesellschaftliche Anerkennung und Gleichstellung von LGBTIQ Personen. Die Vehemenz des Widerstandes liegt nach meiner Einschätzung darin begründet, dass mit der Einforderung von Anerkennung und Gleichstellung von Lesben und Schwulen, noch viel mehr aber von Transidenten, Intersexen und Genderfluiden ein letztes identitäres Konstrukt westlicher Gesellschaften in Frage gestellt wird, nämlich die Zweigeschlechtlichkeit.

Und dass Zweigeschlechtlichkeit ein reines Konstrukt ist, ebenso wie z. B. Rassifizierungen, steht für mich außer Frage. Ich verweise darauf, dass viele nicht westliche Gesellschaften weitaus mehr Formen der Geschlechtlichkeit kennen (bis zu 10!) und zum Teil auch juristisch anerkennen (z. B. Indien oder Nepal mit 3 Geschlechtern). Und ich verweise auf die von Geburt an mit nicht eindeutig dem zweigeschlechtlichen Model zuzuordnenden Merkmalen lebenden Menschen, den Intersexen. Weltweit ist jede 2.000ste Geburt die eines Intersex, das macht etwa 4 Millionen Menschen. Dazu kommen jene Menschen, deren geschlechtliche Identität zumeist von früher Kindheit an von ihrer biologischen Geschlechtszuordnung abweicht, weltweit ca. 35 Millionen Menschen.

Das Konstrukt der Zweigeschlechtlichkeit gibt Gesellschaften Sicherheiten in Bezug auf Privilegien, Rollenzuweisungen, familiäre Arbeitsteilung usw. Dieses Sicherheitsgefühl vor allem wird von der Rechten so vehement verteidigt. Doch wer beweist, dass Gesellschaften mit anderen Geschlechterkonstruktionen nicht ebensoviel Sicherheit bieten? Was spricht ernsthaft dagegen, dass Menschen, die quer (und queer) zur vorherrschenden Zweigeschlechtlichkeit identifiziert sind, nützliche Mitglieder eines Gemeinwesens sind, funktionierende Familien gründen und glückliche Kinder erziehen? Sollten wir nicht gelernt haben, dass, was gestern noch undenkbar war wie z. B. in  Vollzeit arbeitende Mütter, heute weitestgehend akzeptiert ist und keinerlei gesellschaftlichen Schaden anrichtet?

Ich plädiere dafür, dass der Westen sich von der Idee der Zweigeschlechtlichkeit verabschiedet und sich den Tatsachen öffnet, dass innerhalb und außerhalb seiner Gesellschaften Millionen von Menschen sich jenseits dieses Konstruktes identifizieren. Und ich fordere die volle menschenrechtliche Anerkennung und Gleichstellung dieser Menschen, zu denen auch ich gehöre.

Weitaus bedrohlicher als im Westen ist die Lage für LGBTIQ Personen in den allermeisten vom Westen kolonialisierten Weltregionen. Zu den entsetzlichen Folgen des Kolonialismus gehören die Vernichtung einheimischer Traditionen, auch die der Integration gleichgeschlechtlich liebender oder gegengeschlechtlich lebender Menschen in die dortigen Gesellschaften. Stattdessen wurden die sexualitätsfeindlichen und zweigeschlechtsorientierten Maßstäbe der Kolonialmächte den kolonialisierten Völkern aufgezwungen bis hinein in die Gesetzgebung. Der Aufbruch in die (zumindest staatliche) Unabhängigkeit brachte keine Veränderung dieser Wertmaßstäbe, denn das Wissen um den vorkolonialen Umgang mit nicht heterosexuell orientierten oder nicht geschlechtskonform identifizierten Menschen ist gründlich ausgelöscht worden.

Selbst dort, wo sich in den heutigen nachkolonialen Staaten starke gesellschaftliche Strömungen um eine Abkehr von kolonialen Wertesystemen bemühen, ist durch die zerstörte Tradierung und den immer noch prägenden Einfluss westlicher Denkmodelle kaum irgendwo ein eigenständiger Umgang mit gleichgeschlechtlich liebenden und gegengeschlechtlich lebenden Menschen zu finden. Im Gegenteil heißt der Bezug auf "Tradition" in den meisten nachkolonialen Gesellschaften ein Rückgriff auf frühe koloniale Wertesysteme, was nicht nur im Falle der Geschlechtlichkeitsfragen zu beobachten ist. Der rasant steigende Einfluss fundamentalistischer Religiosität, im Falle des Christentums übrigens von westlichen evangelikalen Kräften finanziert, verschlimmert die Lage.

In diese Situation hinein definieren sich auch gleichgeschlechtlich liebende oder gegengeschlechtlich lebende Einwohner der ehemaligen Kolonien nicht mehr in den  zerstörten traditionellen identitären Zuschreibungen. Statt dessen nehmen sie, mit gutem Recht, vielfach die übrigens erst in den letzten Jahrzehnten entwickelten westlichen Begrifflichkeiten für sich in Anspruch, identifizieren sich als lesbisch, schwul, transident und/oder queer. Und geraten damit ungewollt in die vorderste Front einer schwerwiegenden kulturellen Auseinandersetzung zwischen fälschlich als  vorkolonial und authentisch wahrgenommenen Werten und neueren westlichen, als Angriff auf die eigene Souveränität erfahrenen Denkweisen.

Deshalb sind Menschen, die sich als LGBTIQ identifizieren, in den ehemaligen Kolonien schwersten Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Deshalb ist jeder Dialog mit RepräsentantInnen nachkolonaler Gesellschaften über den Themenbereich so außerordentlich schwierig. Dass die Menschenrechte von betroffenen Personen inzwischen zum Spielball westlicher "Entwicklungshilfe"politiken geworden sind, wird die kulturellen Konflikte eher verstärken, die Lage der Betroffenen weiter verschlimmern.

Wer von den ehemaligen Kolonialmächten aus dazu beitragen will, dass sich die menschenrechtliche Situation von LGBTIQ Personen in den ehemaligen Kolonien verbessert, muss zunächst sein eigenes nachkoloniales Wertesystem in Frage stellen, muss bereit sein, sich auf einen gleichwertigen und respektvollen Dialog mit den Gesellschaften einzulassen, die noch heute so sehr von den fatalen Folgen westlichen kolonialen Handels geprägt sind, und muss die alleinige Expertise der betroffenen Menschen vorbehaltlos anerkennen. Jede Art von Bewertung, Druck oder gar Erpressung von westlicher Seite ist kontraproduktiv - und kostet im schlimmsten Falle Menschenleben.

Was ist mein Beitrag zur Verbesserung der menschenrechtlichen Situation von LGBTIQ Personen? Zum einen leiste ich Aufklärungsarbeit für nicht betroffene Menschen, denen die Thematik zumeist sehr fremd ist, deren Wissen oft aus voyeuristischen und unpräzisen medialen Quellen stammt. Dies tue ich vor allem durch Vorträge und als Kurator von Ausstellungen zu relevanten Themen. Und dann ist es mir ein großes Anliegen, mit Menschen, die selber Betroffene sind, Empowermentarbeit zu leisten, zumeist als Workshops.